Berichte von Angelika Nido
Nach 4560 Metern und 39 schön gestalteten, aber imposanten Hindernissen mit 43 Efforts fiel eine erleichterte und überglückliche Tiziana Realini ihrem „Gamy“ um den Hals. Die Tessinerin, die mit 24 Jahren die jüngste weibliche CC-Olympiateilnehmerin in Hongkong ist, absolvierte ihr Olympia-Debüt mit Bravour und brachte Gamour CH ohne Fehler an den Hindernissen über den sehr technischen, engen Viersternekurs mit seinen vielen Wendungen und Kurven nach Hause. „Ich hatte ein gutes Gefühl unterwegs, nur bei der Hinderniskombination Nr. 9 kam ich aus dem Rhythmus, weil Gamy etwas gross ging“, sagt die 24-jährige Tessinerin nach dem ersten Luft holen im Ziel. Nur ein einziges Mal, an der Heckenkombination beim zweitletzten Hindernis, wählte Tiziana Realini die Alternativeroute. „Das hatten wir schon vorher so bestimmt: Es wäre schade gewesen, so kurz vor dem Cross-Ende noch ein Refus zu provozieren“, sagte Realinis Trainer Peter Hasenböhler, der damit völlig richtig lag, wie zahlreiche Run-Outs an diesem Hindernis zeigten. Auch sonst habe sich Tiziana an die vereinbarte Taktik gehalten und das Tempo unterwegs nicht forciert. Sie blieb 59 Sekunden unter der Bestzeit des Australiers Shane Rose, der auf All Luck für den Kurs 8 Minuten 23 Sekunden benötigte und damit der Idealzeit von 8 Minuten am nächsten kam. „Dass die Zeit von acht Minuten bei diesem Kurs nicht machbar sein würde, wussten wir alle schon vorher. Tiziana sollte sie deshalb ausser acht lassen und sich nur auf die Hindernisse konzentrieren“, sagte Hasenböhler. Der 13-jährige Gamour kam deswegen auch fit und ohne Ermüdungserscheinungen ins Ziel: „Gamy war auch schon ausgepumpter nach dem Cross“, sagte Tiziana. Dass sich die im Vorfeld so heftig diskutierten Witterungsbedingungen an diesem Tag mit leichtem Regen und für Hongkong kühlen 26 Grad sehr gnädig zeigten, trug viel zum erfolgreichen Verlauf des diesjährigen Olympia-Cross bei: Von den 68 gestarteten Reitern kamen 44 ohne Fehler an den Hindernissen ins Ziel, es gab kaum unschöne Bilder und nur 4 Stürze, bei denen weder Pferd noch Reiter verletzt wurden. „Der Eventing-Sport hat heute allerbeste Werbung für sich selbst gemacht“, sagte eine erleichterte FEI-Präsidentin Haya bint-al Hussein bei der anschliessenden Pressekonferenz. Währenddessen waren Veterinär Dominik Burger und diverse Helfer damit beschäftigt, Gamours Körpertemperatur von 41,2 Grad nach dem Cross wieder herunter zu kühlen. „Er hat sich allerdings rasch erholt und auch seine Pulsfrequenz kam rasch herunter“, sagte Peter Hasenböhler. Ein Punkt, der bei den folgenden Springen entscheidend sein könnte. Nach der Geländeprüfung rutschte Tiziana Realini zwar von ihrem 28. Rang nach der Dressur um 2 Plätze nach hinten. Doch für sie als versierte Springreiterin stehen die Chancen gut, sich im Springen noch um einige Ränge zu verbessern und den Einzug in den Einzelfinal der 25 Besten noch zu schaffen.
Hoch spannend verlief der Wettbewerb auch an der Spitze: Die Deutschen CC-Reiter, die Revanche für die verlorene Medaille in Athen angekündigt hatten, setzten dieses Vorhaben um: Sie überholten die Australier, die nach der Dressur geführt hatten. Auf dem dritten Rang vor dem Springen liegen die Briten. Auch in der Einzelwertung haben die Deutschen
mit Hinrich Romeike und Marius (50.20 Punkte) sowie Ingrid Klimke mit Abraxxas (50,70) die Führung übernommen.
Text aus Tages-Anzeiger vom Montag, 11. August
Nach der Dressur, der ersten Teilprüfung des Vielseitigkeitswettbewerbes, belegt die Tessiner Einzelreiterin Tiziana Realini mit ihrem Schweizer Pferd Gamour CH mit 48,90 Punkten den 28. Rang unter 69 Teilnehmern und blieb damit etwas unter ihren Möglichkeiten. „Mein Pferd und ich waren wegen der ungewohnten Atmosphäre nervöser als sonst“, erklärt die 24-jährige Olympiadebütantin. Diese Nervosität zeigte sich vor allem in einer gewissen Hektik in den ersten Lektionen des Programms, danach steigerte sich das Paar zunehmend. Punktabzüge brachten jedoch ein unerwünschtes Angaloppieren in der Trabtravesale nach dem Schulterherein und ein nicht ganz geglückter Fliegender Wechsel aus dem Kontergalopp.
Realinis Rückstand auf Lucinda Fredericks (AUS), die Führende nach der Dressur, beträgt 18,5 Punkte und damit weniger als ein Hindernisfehler im Cross. Dieses findet morgen auf dem Gelände des Beas River Country Club, 23 Kilometer nördlich des Olympiageländes in Sha Tin statt. Um den klimatischen Verhältnissen Rechnung zu tragen, wurde die Geländestrecke von geplanten 5700 auf 4560 Meter verkürzt. Doch dadurch folgen nun die 39 Hindernisse, darunter zwei imposante Tiefsprünge an den beiden Wasserkomplexen, viel rascher aufeinander. Sie werden zusammen mit der engen, technischen Streckenführung mit vielen Wendungen und Kurven den Reitern und ihren Pferden alles abverlangen. „Unterwegs gibt es keinen Augenblick, um durch zu schnaufen. Die acht Minuten werden für Pferd und Reiter sehr lange werden“, erklärt Realinis Trainer Peter Hasenböhler.